Für mehr Realität in Reitschulen und an alle Eltern von pferdebegeisterten Kindern, die in Reitschulen unterrichtet werden!!
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Es ist ein Dienstag an einem regnerischen, grauen und bitterkalten Novembertag. Leider nicht das optimale Reitwetter, denkt sich Paula. Für Paula steht heute nämlich wieder Reitstunde auf dem Nachmittagsprogramm. Schon morgens ist es Thema am Frühstückstisch, welches Pferd oder Pony Paula wohl heute bekommen wird und sie hofft, dass sie wieder auf Black Night reiten kann, weil er einfach ihr Liebling ist.
Obwohl sie sich so aufs Reiten freut und einfach Zeit mit den Pferden verbringen möchte, hat Paula aber ein unwohles Gefühl im Magen, weil Mama schon gestern meinte, sie soll unbedingt den Reitlehrer noch mal darauf ansprechen, ob denn heute endlich galoppiert werden kann. Sie soll schließlich Fortschritte machen und nicht nur im Kreis reiten. Dafür würden sie schließlich nicht bezahlen.
Paula träumt insgeheim von ihrem ersten Galoppausritt im Urlaub am Strand, aber sie weiß auch, dass jedes Pferd anders ist, es dafür viel Ehrgeiz und Vertrauen braucht und noch ein langer Weg vor ihr liegt.
Endlich ist es soweit: alle Kinder finden sich im Stall ein und der Reitlehrer verteilt die Pferde. Paula hat Glück, heute darf sie ihr Lieblingspferd reiten. Sie ist super happy. Dann gehen die Diskussionen los, Eltern mischen sich ein und versuchen den Reitlehrern ins Gewissen zu reden, die Pferde und Ponys noch mal zu tauschen. Die Reitlehrerin Pia bleibt aber bei ihrer Entscheidung und versucht sachlich zu erklären, warum die Aufteilung heute so erfolgt. Auf dem Weg in den Mitarbeiterraum, um ihre Handschuhe zu holen, schüttelt Pia nur den Kopf. Sie versteht einfach nicht, warum es wöchentlich die gleichen Diskussionen gibt und die Eltern nicht verstehen, dass ihrem Kind einfach noch die entscheidende Körperspannung und Balance fehlt, um eines der fortgeschrittenen Pferde zu reiten. Sie versucht tief durchzuatmen und geht voll motiviert wieder zu den Reitschülern zurück.
Alle Kinder sind super begeistert nach ihrer Reitstunde. Fast alle haben es geschafft, endlich ihr Pferd mit Schenkelhilfen durch einen kleinen Hindernissparcour lenken zu können, den Pia auf dem Boden aufgebaut hatte. Pia war es wichtig, diese Basics noch einmal zu verfestigen, bevor die Kinder dann frei galoppieren sollen. Gut gelaunt geht Pia mit Paula und den anderen Reiterfreundinnen zurück zum Stall.
Am Stall angekommen, stürzen sich plötzlich ein paar Eltern auf sie. Die Reitstunde wäre fünf Minuten zu früh beendet worden und sie verstehen nicht, warum nicht galoppiert wurde. Paula und ihre Freundinnen drehen sich verschämt weg, weil es ihnen peinlich ist.
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Welche Reitschule oder sogar auch Eltern kennen diese Geschichte so oder so ähnlich nicht? Auch wir könnten bei sowas aus dem Nähkästchen plaudern mit über zehn Jahren Erfahrung im Reitunterricht erteilen.
Wir möchten versuchen, Euch Eltern etwas mehr Aufklärung zu geben im Hinblick auf den Reitunterricht für Eure Kinder. Wir möchten hiermit niemanden persönlich angreifen, sondern es soll einfach nur etwas zum Nachdenken anregen.
Bei vielen Eltern steht an oberster Stelle, wie lange die Kinder auf dem Pferd sitzen und ob galoppiert wird. Aber das ist genau der Punkt: ob galoppiert wird oder nicht, darf bei Reitanfängern nicht an oberster Stelle stehen. Zuerst müssen die Balance und das Gleichgewicht so gut geschult sein, dass der Reiter sattelfest ist und einen schwungvollen Galopp auch sitzen kann. Außerdem steht die Hilfengebung an oberster Stelle. Zügel-, Gewichts- und Schenkelhilfen sollten harmonisch aufeinander abgestimmt sein.
So wie unsere lieben Schulpferde müssen sich auch Reiter einer bestimmten Ausbildung unterziehen. So lernen Reitanfänger erst einmal das Leichtraben, bevor sie zum Aussitzen im Trab kommen. Beim Aussitzen ist es wichtig, dass der Reiter locker und beweglich mit der Hüfte in der Mittelpositur mitschwingen kann und der Bewegung des Pferdes folgt. Wenn dies noch nicht gegeben ist, wird das Kind immer aus dem Sattel geworfen und knallt dann wieder zurück in den Pferderücken. Die Folgen hierbei sind, dass sich das Pony unter Umständen erschrickt und es natürlich mit der Zeit Rückenschmerzen bekommt. Außerdem verliert der Reiter unter Umständen das Gleichgewicht. Das Aussitzen im Trab ist aber natürlich Voraussetzung für das Angaloppieren und muss dementsprechend geschult werden.
Wenn man dann so weit ist, dass man galoppieren kann, sollte dies auch erst einmal ausschließlich an der Longe erfolgen. Jugendliche, die es nicht schaffen Hufschlagfiguren richtig auszureiten oder ihre Pferde nicht eigenständig im Schritt oder Trab auf dem Zirkel reiten können, sollten sich noch nicht an das freie Galoppieren wagen. Sich einfach am Sattel festhalten und das Pferd entlang der ganzen Bahn galoppieren lassen- das hat leider nichts mit Reiten zu tun.
Viele Reitschulen, wie auch die unsere, bieten auf ihrer Website zusätzliches Übungsmaterial an, welches heruntergeladen werden kann und mithilfe dessen die Kinder sich auch zu Hause auf bestimmte Themen vorbereiten können. Das kleine Pony ABC und die Hufschlagfiguren sollte sich jedes Kind einmal zu Hause anschauen. Auch sollte mal eine Reitstunde gegen Theorieunterricht eingetauscht werden, z. B. nicht nur bei schlechtem Wetter.
Außerdem ist es wichtig zu verstehen, dass Reitschulen mit Lebewesen arbeiten. In unserem Fall sind wir sehr froh Schulpferde zu haben, in denen noch Leben steckt und die nicht ausschließlich seit über zehn Jahren im Schulbetrieb mitlaufen und ausgelaugt sind. Unsere Pferde sind motiviert und können genauso wie jeder von uns einen schlechten Tag haben, einfach Bauchweh oder irgendwelche Verspannungen. Diesen Fakt sollte man sich immer wieder vor Augen führen. Reitlehrer sind darauf geschult, Gefahrensituationen rechtzeitig zu erkennen und dementsprechend zu handeln. Manchmal passieren aber Dinge auch plötzlich und ein schnelles Reagieren ist nicht mehr möglich.
Dadurch, dass wir mit Lebewesen arbeiten, ist das Reiten oft eine Achterbahnfahrt. Jeder unserer Reitlehrer kann davon auch heute noch ein Lied singen. Wie oft steigen auch wir deprimiert vom Pferd und ärgern uns darüber, dass wir nicht das umsetzen konnten, was der Trainer uns gesagt hat. Auch die eine oder andere Träne kann da mal vergossen werden und auch uns können Stürze passieren.
Wie mache ich dann aber weiter?
Wichtig ist, dass Eure Kinder wieder aufsteigen und das Angst Thema nicht zu Hause zusätzlich thematisiert wird. Es ist auch nicht sinnvoll dem Kind zu versprechen, dass es ein bestimmtes Pferd nicht mehr reiten muss. Sprecht Euren Kindern Mut zu oder fragt die Reitlehrer, wie Ihr Euch am besten verhalten sollt.
Den Rest überlasst einfach den Reitlehrern, sie kennen die Pferde und jedes Kind sehr gut und werden einen passenden Weg finden aus diesem scheinbaren „Loch“ wieder herauszukommen.
Vertraut Euren Reitlehrern und lasst sie ihren Job tun. Glaubt uns, sie wissen genau was das richtige für Eure Kinder ist. Manchmal muss man vier Schritte zurückgehen, um dann wieder einen voran gehen zu können.
Habt Ihr schon mal darüber nachgedacht, dass Euer Kind eventuell keine große Reitkarriere hinlegen will, sondern einfach nur Zeit bei den Pferden verbringen und Spaß haben möchte?
Gute Reitlehrer erkennen, welches Kind einfach nur Spaß haben möchte und welches einmal ein ehrgeiziger Turnierreiter wird und dementsprechend werden diese Kinder auch geschult.
Eine gute Reitschule oder gute Reitlehrer sollte man also nicht an der effektiven Zeit auf dem Pferd oder der Dauer des Trabens und Galoppierens messen. Das macht nämlich keinen qualitativ hochwertigen Reitunterricht aus. Vielmehr geht es hier auch um Vertrauen und Sicherheit zum Pferd oder Pony, das nach und nach über die Praxis aufgebaut wird.
Wir hoffen auch, dass wir bald wieder Zuschauer an unseren Plätzen zulassen können. Wenn dies der Fall ist, informieren wir euch rechtzeitig. Wir würden dann gerne einen festen Termin im Monat einrichten, wo Ihr als Eltern zuschauen könnt und um so den Fortschritt Eurer Kinder zu bestaunen! 🙂
Sprecht uns gern jederzeit an, wenn Ihr Fragen zum Unterricht habt. Wir versuchen immer wieder Abwechslung in den Unterricht zu bringen und jede Stunde anders zu gestalten, u.a. durch unser „Thema der Woche“. Auch wir sind sehr interessiert an gut geschultem Reiternachwuchs, denn zuletzt kommt das vor allem unseren Pferden zugute und macht uns unwahrscheinlich stolz, etwas an dieser Entwicklung beigetragen zu haben 🙂